Wenn Anika Ram singt, bleibt alles für einen Moment stehen. Ihre Opernstimme ist kraftvoll und berührend – und doch spürt man hinter jedem Ton etwas Tieferes: eine Leidenschaft, die Menschen weit über ihre Heimatstadt Weiden hinaus bewegt.
Wer Anika Ram zum ersten Mal begegnet, merkt schnell: Hier spricht jemand mit Leidenschaft – nicht nur über Musik, sondern über das, was Musik in Menschen bewegen kann. Die gebürtige Weidenerin ist ausgebildete Opernsängerin und Gesangspädagogin. Ihre Stimme hat sie an großen Häusern geschult, ihren Traum begann sie jedoch schon früh.
Schon als Kind singt Anika im Chor, bis in Musiklehrer ihr den Zugang zur klassischen Musik öffnet – ihre Gesangslehrerin später zur Oper. Mit 14 Jahren bekommt sie ein Stipendium der Bayerischen Singakademie, mit 16 wechselt sie ins Musikinternat nach Amberg. Ihre Schulferien verbringt sie phasenweise in München mit Schauspiel, Gesang und im Chor. „Da waren die ganzen Münchner, die Oper schon kannten und schon immer in die Staatsoper gegangen sind. Das hat mich richtig abgeholt. Es ist auch eine Welt für sich – eine richtige Bubble. Das kannte ich von Zuhause nicht“, erzählt die Sängerin.
Mit 18 zieht Anika schließlich nach Weimar zum Gesang- und Musiktheater-Studium. „Ich habe das nie bewusst entschieden. Es war immer klar, dass ich Sängerin bin.“ Heute, Anfang 30, lebt sie in Leipzig, arbeitet als Gesangslehrerin in Weiden, an der Berufsfachschule für Musik in Sulzbach-Rosenberg sowie an den Musikhochschulen in München und Weimar und ist freiberufliche Sängerin. Singt als Sopranistin in den großen Chören Deutschlands wie etwa in dem der Oper Leipzig oder der renommierten Bayreuther Festspiele. Gleichzeitig kehrt die Weidenerin regelmäßig in ihre Heimatregion zurück, um mit Projekten wie dem Ito Kollektiv Brücken zwischen Kunst und Alltag zu schlagen.
„Für mich ist Oper nach wie vor eine Faszination. Es ist dieses Eintauchen in eine andere Welt – mit großem Drama, großer Liebe, großer Freude, großer Musik und großem Gesang“, erklärt Anika. „Man sitzt da – ohne Handy, ohne Lärm – und wird komplett hineingezogen. Alles ist mehr als in der Realität.“
Dass das scheinbar Leichte harte Arbeit ist, macht sie deutlich. Eine Rolle zu erarbeiten, braucht Zeit, Disziplin – und vor allem Geduld mit sich selbst. „Man muss erst die Technik erlernen – und sich dann wieder davon lösen“, sagt sie. Je nach Umfang kann es ein ganzes Jahr dauern, bis eine Partie vollständig im Körper verankert ist – vom ersten Ton bis zum Auftritt. Oft bleibt allerdings weniger Zeit, besonders wenn sie kurzfristig einspringt. Der Weg bleibt derselbe: Zuerst wird der Text übersetzt – aus dem italienischen, spanischen, französischen, … – um jedes Wort zu verstehen, dann folgen Klang, Aussprache, musikalischer Ausdruck. Erst allein, dann mit Pianist, schließlich mit dem Orchester.
Auch im Opernchor, wo Anika regelmäßig singt, beginnt jede neue Produktion mit diesem inneren Aufbau. „Die Stimme muss wissen, was sie tut – bevor man sie wirklich loslassen kann.“ Erst wenn alles zusammenkommt – Atem, Klang, Emotion – entsteht für Anika der beste Moment: „Wenn es klickt, ist es wie ein Zahnrad und alles greift perfekt ineinander. Die Stimme, die richtige Technik und dann kann ich transportieren, was ich erzählen möchte und frei agieren.
Dabei zeichnet sich Operngesang laut Anika vor allem durch eine besondere Technik aus. „Es geht dabei darum ohne Mikrofonverstärkung so eine Lautstärke zu erzeugen, dass man über dem Orchester steht. Man muss auch die physikalischen Schwingungen geschickt beachten – das lernt man alles mit der Technik im Studium. Außerdem werden die einzelnen Sätze lang ausgesungen. Ganz anders als beim Pop“, erklärt die Gesangslehrerin, die sowohl Opern- als auch Popgesang unterrichtet.
Ein Gesangsstudium ist dabei aber weit mehr als das Erlernen von Technik – es ist eine intensive Reise nach Innen. „Man beschäftigt sich unglaublich viel mit sich selbst“, sagt Anika Ram. „Das kann teilweise anstrengend sein, aber ich möchte diese Zeit nicht missen.“ Der Einzelunterricht steht im Mittelpunkt – jede Woche wird an der Stimme gefeilt, an Ausdruck, Präsenz, Wirkung. Dabei geht es oft ans Eingemachte: Feedback betrifft nicht nur die musikalische Leistung, sondern findet auch auf persönlicher Ebene statt. „Man muss lernen, damit umzugehen – das kann einen auch mal hart treffen. Aber genau das macht es so spannend.“ Neben dem klassischen Gesang stehen auch Fächer wie Bühnenpräsenz, Schauspiel, Sprechunterricht, Ballett und sogar Bühnenfechten auf dem Stundenplan. „Gerade für Rollen mit Interaktion oder Kampfszenen ist das super hilfreich.“ Auch die Sprache spielt eine zentrale Rolle – Dialekte werden bearbeitet, die Aussprache trainiert, und fremdsprachige Texte analysiert. Und natürlich gehört auch die Musiktheorie zum Fundament: Gehörbildung, Analyse, musikalische Zusammenhänge verstehen. „Während dem Studium hatten wir auch oft Produktionen, wo wir ganze Opern auf die Bühne gebracht haben.
Genau diese Magie bringt sie auch abseits klassischer Opernhäuser auf die Bühne. Gemeinsam mit der japanischen Pianistin Madoka Ito und der irischen Mezzosopranistin Anna Brady ist sie mit dem Ito Kollektiv präsent – ein Ensemble, das Oper neu denkt und an Orte bringt, die zunächst ungewöhnlich scheinen: Treppenhäuser, Foyers, leerstehende Schwimmbäder, …
Gerade diese unerwarteten Orte geben der Musik eine neue Dimension – nicht nur atmosphärisch, sondern auch akustisch. „Ein Treppenhaus kann unglaublich spannend sein“, erklärt Anika. „Man kann mit der Akustik spielen, mit Perspektiven, mit Bewegung.“ So wird aus einem Konzert ein echtes Erlebnis: Eine Sängerin beginnt unten, die andere oben – der Klang wandert durch den Raum, Stimmen begegnen sich auf halber Höhe.
„Das hat etwas Symbolisches“, sagt Anika. „Man nutzt verschiedene Ebenen, verbindet Welten, macht den Raum selbst zum Teil der Dramaturgie.“ Statt starrer Trennung zwischen Bühne und Publikum entsteht ein immersives Miteinander. Die Musik breitet sich aus, umhüllt die Zuhörer – und wird plötzlich greifbar, spürbar, lebendig. Ein solches Konzerterlebnis bleibt nicht nur im Ohr, sondern geht unter die Haut.
„Wir wollen Oper für alle“, sagt Anika – und meint das ganz wörtlich. Viele Menschen, glaubt sie, hätten nie die Gelegenheit, diese Musik kennenzulernen. „Manche denken, Oper sei steif oder überdramatisch. Aber wenn sie dann live dabei sind, passiert oft etwas. Es ist toll, den Besuchern die Oper nahe zu bringen und sie davon begeistern zu können. Auch die Gefühle, die ich spüre an das Publikum zu übertragen, ist schön. Ich möchte den Menschen etwas erzählen und ihnen einen tollen Abend bereiten“, fasst die Sopranistin zusammen.
Das Ito Kollektiv will nicht belehren, sondern öffnen. Es präsentiert bekannte Arien in neuen Kontexten und in einer lockeren Atmosphäre, bricht mit Konventionen und schafft Erlebnisse, die gleichermaßen für neugierige Erstbesucher wie für erfahrene Opernliebhaber funktionieren.
Gerade in den intimeren Formaten spürt sie die Reaktionen des Publikums ganz unmittelbar. „Da ist keine Distanz, da stehen wir ganz nah beieinander. Die Menschen erleben nicht nur den Klang – sie sehen auch unsere Atmung, unsere Mimik, unsere Emotionen. Und wenn wir es schaffen, dass jemand zum ersten Mal Oper hört und sich davon begeistern lässt, dann ist das für mich das Größte.“ In größeren Formaten merkt Anika vor allem am überschwänglichen und lauten Applaus die Begeisterung der vielen Zuhörer. „Aber man bekommt die konkrete Reaktion der Besucher nicht ganz so schnell mit wie in kleineren Runden. Auf großen Bühnen sieht man durch das Licht das Publikum ja manchmal garnicht.“
Anika Ram liebt die Vielseitigkeit ihres Berufs – und genau das treibt sie an. Ob auf der Opernbühne, im Chor, im Unterricht oder in eigenen Projekten: Für sie ist Musik ein Feld voller Möglichkeiten. „Ich bin ein Theaterkind“, sagt sie mit einem Lächeln. „Und ich liebe es, an der Oper zu arbeiten – immer mehr.“ Gleichzeitig reizt sie die kreative Freiheit, eigene Konzepte zu entwickeln, Formate zu erfinden, neue Wege zu gehen.
Ihr Ziel ist dabei immer klar: „Ich möchte mit dem Singen Dinge machen, die mich wirklich erfüllen – die mir Spaß machen und mit denen ich mich identifizieren kann.“ Natürlich gibt es auch Träume, die noch auf der Liste stehen: eine große Solorolle, ein Auftritt an einem der renommierten Opernhäuser – als nächste Etappe auf einem Weg, der immer offen bleibt.
Denn was Anika auszeichnet, ist nicht nur ihr Können – sondern ihre Haltung. Die Leidenschaft, mit der sie singt, die Nähe, mit der sie Menschen begegnet, und der Mut, ihren ganz eigenen Weg in der Opernwelt zu gehen.