Sebastian Süß ist seit 2013 HIV positiv. Heute kann der Nürnberger viel Gutes aus der Infektion ziehen. Als HIV-Buddy hilft er Menschen, die sich frisch mit dem Virus infiziert haben – auch in den Regionen Amberg, Weiden und Schwandorf.
„Basti, Jahrgang 1992, schwul“, steht im Profil von Sebastian Süß. Auf dem Foto ist ein junger, attraktiver Mann mit blauen Augen zu sehen. Seine Hobbies sind sein Aquarium und Sport, er reist gerne, sonst wohnt er in einem Vorort von Nürnberg, studiert hat er in Wien. Klingt nach einer guten Partie – ist er auch. Doch Sebastian sucht nicht nach der großen Liebe oder einer schnellen Nummer. Der 30-Jährige ist auf einem Portal der Deutschen Aids-Hilfe zu finden. Als HIV-Buddy bietet er Menschen mit HIV seine Hilfe an, spricht mit ihnen und versucht, die Angst vor dem Schritt in ein neues, etwas anderes, aber dennoch normales Leben zu nehmen.
Basti ist selbst HIV-positiv. Seine Diagnose hat er 2013 während seines Studiums bekommen. Heute spricht er ruhig und reflektiert darüber. Zu Beginn sah die Sache anders aus: „Anfangs war ich völlig überfordert“, sagt er in einem leichten fränkischen Dialekt und fügt hinzu: „Ich habe mich zuvor kaum damit beschäftigt, bin vielleicht mal minimalst mit dem Thema konfrontiert gewesen.“ Er vertraut sich seinen engsten Freunden an, erzählt seiner Mutter und seinem Bruder von der Infektion. Die häufigsten Reaktionen sind Unsicherheit und Angst, gepaart mit wenigem Wissen über die chronische Erkrankung und deren Therapie. Er selbst, „parkt das Thema erstmal auf der Seite”.
Dank Behandlung ist Sebastian innerhalb weniger Monate gut eingestellt, die Viruslast im Körper ist unter der sogenannten Nachweisgrenze. Selbst bei ungeschütztem Sex ist er somit nicht mehr ansteckend. Er führt ein gesundes Leben. Dennoch lässt ihn das Thema nicht los. Fünf Jahre später beginnt er sich intensiv mit seiner HIV-Infektion auseinanderzusetzen. Auf der Suche nach Informationen stößt er auf das Buddy-Projekt. „Für mich war das eine Initialzündung, um das Thema in mein Leben zu integrieren“, sagt er.
Er will helfen, Gutes tun und Menschen mit einer frischen Diagnose unterstützen. Er selbst hatte damals keinen Kontakt zu anderen HIV-positiven Menschen. Einen Austausch über ein Leben mit der Infektion gab es somit nicht. Er meldet sich als Buddy an. Das Buddy-Projekt, eine Initiative der Deutschen Aids-Hilfe, verläuft strukturiert. Die potentiellen „Kumpels“ werden in speziellen Schulungen angelernt. „Man lernt sehr viel über Selbstreflexion, aber auch viele Softskills und fachliche Kompetenzen“, erzählt Basti. „Es ist aber keine Beratung, man steht auf Augenhöhe zur Seite.“
Seit knapp vier Jahren ist er jetzt ein HIV-Buddy. Für Menschen aus Franken und der Nordoberpfalz ist es leicht, persönlich mit ihm in Kontakt zu treten. Aber auch aus anderen Teilen Deutschlands melden sich Betroffene, weil sie Bastis Profiltext nett und ansprechend finden. Die Buddys kommen und gehen. Manchen reicht es zu sehen, dass Basti ein gesundes Leben führen kann. Andere haben Fragen, benötigen einen intensiveren Austausch. Ist alles geklärt, geht jeder seine Wege.
An seinen ersten Buddy erinnert er sich noch sehr gut. Ein heterosexueller Mann aus der ländlichen Region um Nürnberg. „Er hat sich im Thailand-Urlaub infiziert bei einer Prostituierten und hatte total Angst, dass alle denken, dass er schwul ist“, erzählt Basti. „Zusätzlich natürlich die Angst davor: Wo hole ich meine Medikamente? In der Dorfapotheke geht das natürlich nicht, also in die Stadt.“ Für Basti gibt es klare Unterschiede zwischen größeren Metropolregionen und kleineren Städten. Nicht nur die Stigmatisierung der Krankheit und deren Umgang damit sind ein größeres Problem. Auch die medizinische Betreuung ist auf dem Land oder in Kleinstädten wie Amberg schwerer. Die nächsten HIV-Schwerpunktärzte befinden sich in Nürnberg, Regensburg oder Fürth: „In der Stadt ist die Community größer, am Land stehst du schon mal alleine da.“ Besonders deshalb ist das Buddy-Projekt für Menschen, die die Diagnose „HIV-positiv“ erhalten, so wichtig.
Auch für Basti war das Projekt ein wichtiger Schritt. Kurz vor der Schulung hat er seinem Vater von der Infektion und seiner ehrenamtlichen Arbeit erzählt: „Er hat am Anfang geschockt reagiert, hat aber innerhalb weniger Stunden einen echt guten Umgang damit gefunden. Wir konnten gut darüber reden. Er hat alles verstanden, seitdem war das aber nie wieder ein größeres Thema.“ Basti versteckt seine HIV-Infektion nicht mehr. In den sozialen Medien steht „HIV+“, er ist beruflich bei einem pharmazeutischen Unternehmen im Bereich HIV tätig und weiterhin als Buddy aktiv. Insgesamt wünscht er sich mehr Aufklärung, nicht nur einmal im Jahr, Anfang Dezember zum Welt-Aids-Tag.
„Es ist wichtig mit den alten Bildern zu brechen, die sich bei vielen verankert haben“, fordert Basti und weist auf den damals bekannten Film Philadelphia hin: „HIV ist nicht gleich Aids und Tod!“ Diese Erinnerungen hängen 30 Jahre später
noch immer im Kopf. Er fügt hinzu: „Viele Leute verstecken sich, weil sie Angst vor den Reaktionen haben. Wenn andere mitnehmen, dass sie keine Angst vor HIV-positiven Menschen haben müssen, ist das Wichtigste erledigt.
Auch heute noch stößt Basti auf Ablehnung, auch an Orten, die fachlich geschult sein sollten. Als er seinen Zahnarzt-Termin verschieben musste, wurde ihm nur der letzte Termin des Tages angeboten. „Da die medizinischen Geräte und der gesamte Raum laut der Dame am Telefon dann besonders intensiv desinfiziert werden müssten“, sagt er. Das ist schon allein deswegen falsch, weil die Praxis die allgemeinen Hygienevorschriften so oder so befolgen muss und damit keine Gefahr einer Übertragung besteht – völlig unabhängig, ob Basti Medikamente nimmt oder nicht. Ein Moment, den er nur „schwer akzeptieren“, in dem er „keine fünf geraden Sätze“ herausbekommen habe.
Doch Basti lässt sich nicht unterkriegen, er hat gemeinsam mit der Kontaktstelle für Diskriminierung der Deutschen Aids-Hilfe einen Brief aufgesetzt. Auch mit dem Hintergrund, anderen HIV-Positiven, die sich weniger trauen, zu helfen: „Wenn es eine komische Reaktion gibt, krieg ich die ab. Vielleicht erhält der Nächste eine bessere.“
Basti scheint mit sich selbst im Reinen, achtet mehr auf seinen Körper, weiß seine Gesundheit sehr zu schätzen und setzt sich für andere HIV-positive Menschen ein. Er ist in einer Beziehung und seit kurzem verlobt.
Heute ist sein positives HIV-Ergebnis für ihn nicht mehr so negativ behaftet wie noch 2013. „Und vielleicht wäre ich nicht da, wo ich heute bin.“, sagt er – ein gesundes, glückliches Vorbild für Menschen mit und ohne HIV-Infektion.