Peter, Patrick und Ilona sind feste Bestandteile der Luftrettungs-Station in Weiden. Als Pilot, Notfallsanitäter und Notärztin retten sie im Auftrag der DRF Luftrettung Leben.
Latsch – Weiden. Kurz vor Dämmerung an einem nebligen Novembertag. Christoph 80 steht noch immer für die letzten Minuten des Tages bereit. Heute kam er lediglich zwei Mal zum Einsatz – dem Wetter und der Jahreszeit geschuldet. Denn er darf nur in der Zeitspanne von einer halben Stunde vor Sonnenaufgang bis 30 Minuten nach Sonnenuntergang in Betrieb genommen werden. Ein Einsatz führt die Besatzung auf den Truppenübungsplatz in Grafenwöhr. Ein weiteres Mal rückt der Helikopter aus, um zunächst nach Waldsassen und von dort aus weiter ins Krankenhaus nach Regensburg zu gelangen.
Seit April 2011 gibt es die Rettungshubschrauberstation der DRF in Weiden. Seitdem ist auch die Notärztin Ilona Boccali Teil der Luftrettung vor Ort. Die 51-Jährige aus Fuchsmühl im Landkreis Tirschenreuth arbeitet hauptberuflich als Anästhesistin im Klinikum Weiden und kommt zwei Mal im Monat als Notärztin in der Luft zum Einsatz. Im Zuge einer Arbeitnehmerüberlassung ist sie Teil der Weidener Helikopter-Besatzung. „Als sich hier vor 13 Jahren der Hubschrauberstandort ergeben hat, hätte ich mich wahrscheinlich selbst gar nicht so dort gesehen. Aber mein Chef hat es. Also habe ich ein Mal in Regensburg ausprobiert, ob ich flugtauglich bin. Und das war ich“, erzählt Ilona, die zuvor in Regensburg rein als bodengebundene Notärztin mit dem Rettungswagen unterwegs war.
„Ich wollte das schon immer machen. Schon seit meiner Jugend war der Hubschrauber mein Ziel“, lässt Patrick Süttner blicken. „Ich möchte das auch nicht mehr missen.“ Als Notfallsanitäter ist er seit 2012 bei der DRF Luftrettung. Zuvor ist der 40-Jährige aus Reuth bei Erbendorf bereits zehn Jahre als bodengebundener Notfallsanitäter zum Einsatz gekommen. Nach einer erfolgreichen Ausbildung zum HEMS-TC (Helicopter Emergency Medical Services Technical Crew Member), was neben den zehn Jahren Vorerfahrung ebenso als Grundvoraussetzung für seine Position gilt, ist er nun 50 Prozent seiner Arbeitszeit am Boden und 50 Prozent in der Luft. Als HEMS-TC ist er Bindeglied zwischen dem Hubschrauberbetrieb und der Medizin, regelt alles rund um den Helikopter, sitzt vorne im Cockpit neben dem Piloten, funkt mit der Leitstelle, unterstützt bei der Navigation, führt die Luftraum- und Sicherheitsbeobachtung durch und übernimmt nach dem Landen zusammen mit den Notarzt die medizinische Arbeit.
Seit 10,5 Jahren ist Peter aus Neustadt a.d. Waldnaab als Pilot bei der DRF Luftrettung angestellt. Zuvor war er bei der Bundeswehr als Hubschrauberpilot tätig. „Ich habe einen Erste-Hilfe-Kurs besucht – wie Autofahrer auch. Und ansonsten habe ich ein super Team“, sagt der 54-Jährige, der das aktive Leben retten seinen zwei wechselnden Besatzungsmitgliedern überlässt. Neben dem Fliegen des Hubschraubers des Typs H145 ist er zudem für dessen Absicherung zuständig. „Man kann den Hubschrauber ja nicht auf die Straße stellen und alle gehen davon“, sagt er und lacht. „Man muss auch aufpassen, dass ihm der Rettungswagen nicht zu nahe kommt.“
Mit einem Einsatzgebiet im Umkreis von etwa 60 Kilometern um Weiden kann Christoph 80 alle Unfallorte in maximal 15 Minuten erreichen. Der betankte Sprit reicht für zwei Stunden Flugzeit und 20 Minuten Reserve. 20 Prozent seines Einsatzgebietes liegen in der Tschechischen Republik. Bei allen Unfällen sind neben dem erfahrenen Piloten – in Weiden gibt es drei davon – auch jeweils ein Notfallsanitäter / HEMS-TC und ein Notarzt an Bord. In Hochphasen und vor allem den Sommermonaten können es auch mal zehn Einsätze am Tag sein. Im Winter sind es durch die beschränkte Zeitspanne und das Wetter meist weniger Einsätze. Denn bei dichtem Nebel, starkem Regen und Schneefall ist ein Start nicht immer möglich. Hier entscheidet der Pilot selbst, ob es bei den Wetterbedingungen vertretbar ist, zu starten. „Bei unserem heutigen Flug nach Regensburg war erst nicht klar, ob wir es bis dorthin schaffen. Aber wir haben es probiert und es hat geklappt“, erzählt Notärztin Ilona.
Aus Sicherheitsgründen darf Christoph 80 lediglich eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang und eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang fliegen. Die fehlende Ausleuchtung am Unfallort beziehungsweise Landeplatz sind hier die Hauptursache. Für solch nächtliche Einsätze gibt es an anderen Standorten in Bayern besonders ausgestattete Hubschrauber mit Nachtsichtgeräten. Auch die Besatzung ist zusätzlich geschult und hat eine spezielle Ausbildung.
Vom Zeitpunkt des ersten Alarms durch die Integrierte Leitstelle Oberpfalz-Nord bis zum Losfliegen vergehen etwa zwei Minuten. „Jeder hat dann unterschiedliche Aufgaben“, erzählt Patrick. Der Pilot muss als erstes am Helikopter sein. „Der Hubschrauber ist dann schon betankt und einsatzklar. Ich gucke noch schnell ins Wetter am Unfallort und dann wird der Anlassvorgang gestartet.“ „Der Notarzt überwacht an der Station diesen Anlassvorgang, während der HEMS-TC den Einsatzauftrag von der Leitstelle über Digitalfunk übernimmt und anschließend mit dem Piloten die nötigen Checks durchführt“, beschreibt Patrick die ersten Minuten. „Es kann auch mal sein, dass ich, wenn der Piepser los geht, noch schnell auf die Toilette renne, es hilft ja nichts“, sagt Ilona. „Den Piloten braucht man direkt, aber ich als Notärztin bin die Letzte, die einsteigt.“
Gestartet wird die Schicht in der Luftrettungs-Station in Weiden nahezu immer mit einem guten Frühstück. „Es ist schon Tradition auf solchen Stationen, dass man in der Früh kommt, sich fertig macht, sein Equipment prüft, bei der zentralen Leitstelle anmeldet und dann erst mal gemeinsam frühstückt“, erklärt Ilona. Lachend weiter: „Der erste Einsatz noch vor dem Frühstück ist immer ungut.“
Als Pilot prüft Peter zusätzlich noch das Wetter für den Tag und erkundet sich nach der medizinischen Ausrüstung. „Alles Technische, was den Flugbetrieb angeht, macht der Pilot. Und zusammen mit mir als HEMS-TC wird die medizinisch-technische Ausstattung geprüft“, fasst Patrick kurz zusammen. Auch ein kurzes Briefing zu anstehenden Besonderheiten des Tages steht auf der morgendlichen Agenda. Einen typischen Arbeitsalltag gibt es bei der Luftrettung jedoch nicht. „Jeder Tag ist ein bisschen anders“, berichtet Peter. „Man kann schon auch mal kochen, oder im Sommer grillen. Aber meistens ist es so: Wenn das Essen fertig ist, ist ein Einsatz.“
Auf der Station sind neben den administrativen Räumen auch eine Küche, ein Wohnraum und sechs Rückzugszimmer zu finden. „Die langen Tage im Sommer mit bis zu 15,5 Stunden Dienst dürfen wir auch nur machen, weil wir hier Ruheräume haben. Manchmal ist es nötig und muss auch einfach sein, dass man sich zwischendurch mal ins Bett legt.“
Bei der Wahl des Landesplatzes gibt es einige ausschlaggebende Punkte: Der Platz muss gut erreichbar sein – auch mit dem Rettungswagen, darf nicht weit von der Einsatzstelle entfernt sein, die Umgebung muss frei von Hindernissen wie Heuballen oder Stromleitungen sein und der Untergrund muss gut geeignet sein – auch bei Nässe. Gleichzeitig darf der Landeplatz nicht zu schräg sein. „Im Vorfeld lässt sich das immer schlecht herausfinden. Auf Google sind teilweise schon zwei bis drei Jahre alte Bilder. Auf den Freiflächen kann mittlerweile zum Beispiel schon ein Wohngebiet sein, auch Schräglagen sieht man nicht – ebenso Trampoline, Schirme oder Markisen“, erklärt Pilot Peter den Moment, in dem ihm viel durch den Kopf geht.
„Wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Transport groß ist, sollte es ein Platz sein, an dem der Patient gut einzuladen ist. Bei einer Reanimation müssen wir als Crew mit dem Equipment eher nah an den Unfallort hin – den Hubschrauber kann man dann nachträglich auch nochmal umsetzen“, ergänzt Ilona.
Und wann kommt der Rettungshubschrauber generell zum Einsatz? „Es gibt einen Notarztindikationskatalog, der überall bekannt ist“, erklärt Notfallsanitäter Patrick die Entscheidung, ob ein Helikopter oder ein Rettungswagen gerufen wird. Dabei sind etwa Bewusstlosigkeit und Atemstillstand zwei der Indikationen. „Außerdem gibt es taktische und logistische Überlegungen: Wenn der Patient beispielsweise weiter weg muss. Verbrennungsopfer oder Schwerverletzte müssen etwa in ein größeres Zentrum. Der Hubschrauber kann solche Wege schneller überbrücken.“
Im Jahr 2023 startete Christoph 80 1219 Mal um Leben zu retten. Besonders häufig muss die Weidener Besatzung zu Einsätzen bei Herzerkrankungen, neurologischen Beschwerden oder Verletzungen der Extremitäten ausrücken. Alle drei Lebensretter nimmt es nochmal mehr mit, wenn Kinder betroffen sind. „Ich glaube jeder von uns hatte Einsätze, die einem besonders im Kopf geblieben sind. Bei mir ist innerhalb eines Jahres zweimal der gleiche schwerwiegende Unfall mit jeweils einem Kleinkind vorgekommen“, erzählt die Notärztin Ilona. „Ich erinnere mich an ein Kind, das in einen Teich gefallen ist und reanimiert wurde. Letztendlich war es erfolgreich und ich habe immer mal wieder im Nachgang Kontakt mit der Familie gehabt“, sagt Patrick. „Sie haben uns auch mal eingeladen. So etwas bleibt dann natürlich mehr hängen als andere Einsätze.“ „Aber wir nehmen jeden Einsatz ernst. Manchmal klingt es banal und dann ist es doch ein schwerwiegender Fall und ein anderes Mal klingt es schwerwiegend und ist dann eher banal“, sagt Ilona. Peter ergänzt: „Wir wurden mal zu einen Fall in Dresden in einem Altenheim gerufen und sind von einer klassischen Dehydrierung eines Bewohners ausgegangen. Dort angekommen, war es dann doch eine Reanimation einer 35-jährigen Pflegerin. Das Vorurteil, dass im Altenheim nichts Schlimmes passiert, stimmt also nicht.“
Fast jeder Einsatz wird im Nachgang im Team besprochen, um sich fachlich weiterzuentwickeln und das Erlebte emotional zu verarbeiten. „Wenn etwas längerfristig zum Problem wird, haben wir auch psychologische Möglichkeiten in der Firma, also Ansprechpartner, die man hinzuziehen kann“, erzählt Patrick. Die Sicherheit steht im Team der DRF ganz weit oben: „Da sagt keiner, dass man direkt weiterfliegen muss. Bei schweren Fällen kann man sich abmelden und über die Sachen reden. Wir müssen hinterher ja auch langfristig wieder funktionieren“, ergänzt Peter. Ilona weiter: „Und man ist auch nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern für das ganze Team.“
Gegen 17.20 Uhr, kurz nach Sonnenuntergang dann die Überraschung: Ein Alarm aus Auerbach geht in der Weidener Station ein. Sämtliche Piepser melden sich und das Adrenalin steigt. Oder doch nicht? „Wir dürfen heute nicht
mehr starten“, erklärt Peter die Situation. Der Einsatz wird bei der Intergrierten Leitstelle abgelehnt und von dort an eine Luftrettungsstation mit 24-Stunden- Hubschrauber weitergeleitet.
Die drei sind sich einig: So schnell steigt das Adrenalin bei einem Alarm nicht mehr. „Das hängt schon immer ein bisschen von der Einsatzmeldung ab. Ein Notfall mit Kindern oder ein schwerer Verkehrsunfall ist mit mehr Adrenalin verbunden.“
Lachend berichtet Ilona weiter: „Es kommt auch drauf an, wie laut man den Piepser eingestellt hat. Der Puls wird schon ein bisschen ansteigen, aber man gewöhnt sich dran.“ Als erfahrener Pilot merkt Peter bei neuen Notärzten oder Notfallsanitätern direkt, dass sie bei ihren ersten alleinigen Einsätzen ein bisschen mehr Aufregung dabei ist. Durch die langjährige Erfahrung in der bodengebundenen Rettung sei dies aber kein Problem.