33 wohnungslose Menschen leben derzeit offiziell in Weiden. Viele von ihnen haben Traumata und harte Schicksalsschläge erlitten. Ein Einblick in die Arbeit derer, die helfen und hinter die Kulissen des Ursula-Barrois-Hauses.
Es ist ein warmer Tag Anfang März in der Weidener Schustermooslohe. Die Sonne scheint. Die orangenen, weißen und grünen Fassaden der Gebäude bilden einen Kontrast zum blauen Himmel. Hinter den bunten Fassaden im Inneren der Häuser ist die Atmosphäre im Gegensatz zu draußen kühl und steril. In den Zimmern leben Menschen ohne eigenen Wohnraum, denn hier im Nordwesten Weidens befindet sich die Wohnungslosenunterkunft der Stadt.
Die Häuser sind einstöckig. Im Obergeschoss sind im einen Haus sieben, im anderen acht Wohnungen. Jeweils zwei Apartments teilen sich eine Treppe aus Stahl als Zugang. „Um die Begegnungen zu reduzieren“, erläutert der Dezernent für Familie und Soziales der Stadt Weiden, Wolfgang Hohlmeier. Gemeinsam mit André Pfeiffer vom Besonderen Sozialdienst der Stadt und Pavlo Yukhno sowie Iryna Swkhochova, den Vorort-Mitarbeitern der Wohnungslosen- und der Asylunterkünfte in Weiden, ist er an diesem Tag in der Schustermooslohe unterwegs. 44 Bewohner können hier unterkommen, im Moment leben 33 Menschen dort. Davon sind 29 Männer und vier Frauen. Gut die Hälfte sind noch unter 40 Jahre alt. Jedes Zimmer in der Unterkunft sieht gleich aus. Immer zwei Menschen leben gemeinsam in einem Raum.
Pfeiffer hält einen elektronischen Chip an die Tür von Zimmer Nummer 1. „Eine der besten Anschaffungen im Rahmen der neuen Unterkunft“, sagt er über den Chip und schmunzelt. Die Wohnungslosenunterkunft wurde erst vor gut einem Jahr eröffnet. Zuvor gab es an selber Stelle Baracken aus Holz aus den Dreißigerjahren, in denen die Bewohner hausten. „Kein Zustand“, finden Hohlmeier und Pfeiffer. Für die vorherigen Wohnungen gab es noch Schlüssel. „Die sind ständig verloren gegangen oder nicht mehr zurück gebracht worden und wir mussten sie neu machen lassen“, sagt Hohlmeier. Nun springt die Tür mit einem leisen Klicken auf.
Im Inneren: Weiße Wände, zwei Betten, ein Tisch und ein Spind. Dazu ein Bad mit Waschbecken, Dusche, Klo und Spiegel sowie eine kleine Küchenzeile. Darin ein Herd, ein Kühlschrank und eine Spüle. Alle Armaturen sind aus Edelstahl. Unter dem grauen Fußboden ist die Heizung verbaut. „Wegen Vandalismus“, wie Hohlmeier erklärt. Anders verbaute Heizungen würden abgetreten oder sonst wie kaputtgemacht. „Die Menschen leben nun mal in einer Zweckgemeinschaft. Dort treffen Leute aufeinander, die sich völlig fremd sind.“ Da käme es schon mal zu Wutausbrüchen oder Gewalt. Aber André Pfeiffer weiß auch: „Es sind schon Freundschaften entstanden. Die Bewohner helfen sich dann zum Beispiel beim Kochen. Das ist schon auch schön, das mit anzusehen.“
Zwischen den Zimmern haben Iryna und Pavlo ihr Büro. Ein grünes Lämpchen über der Tür signalisiert, wenn die beiden da und für die Bewohner ansprechbar sind. Sie sind jeden Tag in der Unterkunft. Allerdings immer nur vereinzelt, da sie auch in den Asylunterkünften in der Stadt präsent sind. „Die Bewohner können uns alles fragen. Wir helfen, wenn Kleinigkeiten kaputt gehen oder wenn jemand dringend etwas zu Essen braucht“, erklären die beiden. Die Wohnungslosen sind für alles selbst verantwortlich: Essen besorgen, putzen, waschen. Von 8.30 bis 19 Uhr ist dafür der Waschraum geöffnet. Dort stehen zwei Waschmaschinen und zwei Trockner. Die beiden Maschinen sind gut befüllt und rödeln mit einem leisen Brummen vor sich hin. Vor und nach der Öffnungszeit geht nichts. Die klaren Regeln haben laut Wolfgang Hohlmeier einen Sinn: „Sie sollen den Bewohnern wieder ein Gefühl von einem geregelten Leben geben.“ Pfeiffer ergänzt: „Es geht darum, dass die Menschen wieder lernen, zu wohnen.“
Wenn jemand in der Unterkunft erkrankt, gibt es zwei Quarantänezimmer, um die ansteckende Person von ihrem Zimmernachbarn separieren zu können. Seit Eröffnung der Unterkunft waren sie nur einmal belegt. Anders sieht es bei den Polizeizimmern aus. Die sind regelmäßiger in Benutzung. In die Räume bringt die Polizei Menschen, die sie beispielsweise hilflos auf der Straße auffindet oder die sie am Bahnhof ohne gültige Meldeadresse aufgreift.
Schräg unter den beiden Polizeizimmern ist der Gemeinschaftsraum. In der Mitte stehen mehrere zu einer Tafel zusammengeschobene Tische. Eine Küche mit Herd, Ofen und Spüle ist an der Rückwand des Raumes eingebaut. Sie ist nicht aus Edelstahl, sondern aus Holz. Hier führen drei Sozialpädagogen der Stadt jeden Montag und Donnerstag Gespräche mit Bewohnern der Unterkunft. „Die sind ganz individuell“, erklärt Pfeiffer. Mal gehe es um die Wohnungssuche, dann um die Suche nach einem Therapieplatz oder um Suchtberatung. Jeder der städtischen Mitarbeiter hat feste Bewohner, die er berät – um ein engeres Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die Beratungen finden in der Gemeinschaftsunterkunft statt, um sie möglichst niederschwellig zu halten.
Um überhaupt in der Unterkunft leben zu können, müssen sich Wohnungslose bei der Stadt Weiden melden. Dann bekommen sie einen Chip für die Unterkunft. Vorerst dürfen sie zwei Wochen für die sogenannte „Clearing-Phase“ bleiben. In dieser Zeit führen die Sozialpädagogen erste Gespräche, lernen die Bewohner kennen und schauen, wie sie helfen können. Dann kann die Unterbringung monatlich verlängert werden. Die meisten Menschen leben weniger als ein halbes Jahr in der Unterkunft. Der längste Bewohner lebt seit zehn Jahren dort. Eine Ausnahme. Während die Männer und Frauen in der Unterkunft wohnen, wird deren Anschrift ihre Meldeadresse. Das ist wichtig, denn nur mit einer gültigen Adresse können sie zum Beispiel Bürgergeld beantragen oder sich auf eine Wohnung bewerben.
Wenn nicht die städtischen Sozialpädagogen im Gemeinschaftsraum beraten, ist am Dienstag der Verein „Die Initiative“ zu Gast. Er arbeitet seit über 40 Jahren eng mit der Stadt zusammen und bietet einen Treff für die Bewohner – mit Kaffee und guten Gesprächen. Caroline Schneider, Sozialpädagogin und Suchttherapeutin, von der „Initiative” erzählt schmunzelnd: „Alleine der Kaffee ist für 90 Prozent der Bewohner schon ein Zugewinn.“ Meist würde an einem Nachmittag ein Thema besprochen. Zum Beispiel: „Wie finde ich mich eigentlich im Hilfesystem der Stadt zurecht?“
Wenn einzelne Bewohner dann Gesprächsbedarf signalisieren, können sie zur offenen Sprechstunde am Donnerstag ins Stadtteilzentrum „Neue Mitte“ kommen. Diese steht allen Bürgern der Stadt Weiden offen. Ein Termin ist nicht nötig. „Es ist ganz individuell, welche sozialtherapeutische Arbeit nötig ist“, erzählt Schneider. Mal sucht sie einen Therapieplatz, mal klärt sie zur sicheren Nutzung von Suchtmitteln auf und mal unterstützt sie bei der Wohnungssuche. Leicht ist das nicht immer. „Wenn man dann immer wieder beleidigt wird, merkt man schon, dass der Ton ein anderer ist.“ Doch Schneider wisse, dass solche Aussagen nur aus der Verzweiflung der Menschen kommen und zum Ziel haben, Kontakt zu suchen – auch wenn das paradox scheint. Viele Bewohner der Unterkunft haben mit mehreren Problemen gleichzeitig zu kämpfen: Schulden, Sucht, psychische Erkrankungen. Einige sind aus der JVA entlassene Häftlinge, andere sind wegen Räumungsklagen oder Kündigung aufgrund von Eigenbedarf in der Unterkunft gestrandet. Viele, die einmal da waren, kommen wieder.
„Jeder ist unserer Hilfe würdig“, erklärt Anna-Katharina Barrois. Sie ist die Vor - sitzende der „Initiative” – der „Inni“, wie sie und ihre Kollegin Schneider den Verein liebevoll nennen. Ihre Mutter, Ursula Barrois, gründete den Verein vor über 45 Jahren und setzte sich zu Lebzeiten für die Belange von Wohnungslosen ein. Deshalb ist die neue Unterkunft der Stadt Weiden auch nach ihr benannt: Ursula-Barrois-Haus. Lange wollte Barrois gar nicht in die Fuß - stapfen ihrer Mutter treten. „Aber mein Herz ist offen für die Arbeit mit Wohnungslosen.“ Die Unterkunft in Weiden und die Gesprächsmöglichkeiten für Wohnungslose seien unfassbar wichtig. „Sonst verlieren sie ihren Ort zum Leben“, betont die Vorsitzende. Auch deshalb ist es ihr ein Anliegen, die Arbeit ihrer Mutter fortzuführen. Sowohl die Stadt als auch die „Inni“ arbeiten eng mit der Suchtberatung der Caritas und der Schuldnerberatung zusammen und haben auch sonst ein enges Netzwerk für Therapieangebote und einen Draht zum Sozialdienst der JVA.
Die Arbeit scheint zu fruchten. Seit 2022 ist die Wohnungslosigkeit etwas zurückgegangen. Allerdings betont Schneider, dass von einer deutlich höheren „verdeckten Wohnungslosigkeit“ auszugehen ist. Also von Menschen, die wohnungslos sind, sich aber gar nicht als solche melden. Insbesondere Frauen würden häufig lieber bei zwielichtigen Freunden oder Bekannten unterkommen, anstatt sich wohnungslos zu melden. Denn die Konsequenz ist häufig, dass die Frauen ihre Kinder an das Jugendamt abgeben müssen, bevor sie die Wohnungslosenunterkunft beziehen. Für viele keine Option. „Ob das die bessere Lösung ist, ist fragwürdig“, wirft die Sozialpädagogin ein.
Für viele ist es auch keine Option, überhaupt Hilfe anzunehmen – wenn dann nur widerwillig. Schneider erklärt das so: „Oft gab es da in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit Helferpersonen, zum Beispiel bei der Therapie.“ Das macht die professionelle Unterstützung der „Initiative” schwer. Man müsse sich bewusst machen, dass man nicht verantwortlich für die Klienten sei, sondern nur ein Wegbereiter, meint die Sozialpädagogin. „Es ist Hilfe zur Selbsthilfe, was wir hier machen.“ An manchen Donnerstagen kommt nur eine Person zu ihr in die offene Sprechstunde, an anderen sechs oder sieben. „Ich nehme mir für jeden die Zeit, die es braucht“, bekräftigt Schneider das Motto des Angebots. Auf einem Flyer der „Initiative” ist es untertitelt mit den Worten: „reinkommen, drankommen, ankommen.
Auch beim Treff der „Inni“ am Dienstag im Ursula-Barrois-Haus variiert die Teilnehmerzahl stark. Mal sind zwei Personen da, mal ist „volle Bude“. Manchmal sind die Mitglieder der „Initiative“ da auch als Streitschlichter gefragt. „Die Stimmung in der Unterkunft kann schon schwierig sein.“ Konflikte seien immer wieder Thema – auch Gewalt und Übergriffe.
Damit der Verein den Menschen noch besser helfen kann, würde er seine Arbeit gerne ausweiten. Barrois und Schneider wünschen sich, Klienten beispielsweise zu Arztterminen begleiten zu können oder bei einer Wohnungsbesichtigung dabei zu sein. Schneider meint: „Da geht es darum, ihnen beispielsweise beizubringen, ein sauberes, weißes T-Shirt zur Besichtigung anzuziehen.“ Viele Wohnungslose hätten das Gespür dafür verloren, was „normal“ ist und was nicht. Gerade auch soziale Kontakte seien für viele herausfordernd. Da möchte die „Inni“ ihren Klienten mehr unter die Arme greifen können.
Zur Zeit arbeiten sechs Menschen hauptamtlich für den Verein. „Es ist schwer, gutes Personal zu finden“, berichtet die Vorsitzende Anna-Katharina Barrois. Es brauche viel Erfahrung und Herzblut für die Wohnungslosenhilfe. Daran scheint es bei den bisherigen „Inni“-Mitgliedern auf jeden Fall nicht zu mangeln, denn die Arbeit zahlt sich aus. Aus dem Schaffen des Vereins ist nämlich auch Präventionsarbeit entstanden, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Gerade bei Familien versuche der Verein zu verhindern, dass diese in die Wohnungslosigkeit rutschen. Wenn gegen eine Familie beispielsweise eine Räumungsklage vorliegt, nimmt die „Initiative“ zu ihr Kontakt auf. Dann versucht der Verein mit dem Vermieter zu verhandeln. Wenn es doch zu einer Räumung kommt, sind Mitarbeiter des Vereins vor Ort und helfen den Betroffenen. Vor allem mentale Unterstützung sei wichtig. „Das ist ein traumatisches Ereignis, wenn man plötzlich sein Dach über dem Kopf verliert“, weiß Barrois.
Zur Prävention gehört auch, dass die „Inni“ mit Klienten, die nach einer Wohnungslosigkeit wieder ein eigenes Heim gefunden haben, in Kontakt bleibt und prüft, ob sie regelmäßig ihre Miete zahlen, oder, ob sie ihre Wohnung sauber halten. Alles, damit die Menschen nie wieder ihr zu Hause verlieren müssen. Dann brauchen sie auch kein Zimmer in der Schustermooslohe mehr. Das für Familien trägt übrigens die Nummer 6. Es ist größer als die anderen, vier Betten stehen darin. Sonst sieht alles gleich aus – schlicht. Bisher war der Raum noch nie belegt. „Er könnte, wenn er müsste“, sagt André Pfeiffer vom Besonderen Sozialdienst. Gemeinsam mit Wolfgang Hohlmeier und den beiden Vorort-Mitarbeitern tritt er wieder ins Freie vor das Ursula-Barrois-Haus. Es ist noch wärmer geworden. Drinnen bleibt es schlicht und kühl. Aber dort und bei der „Initiative“ gibt es Hilfe – und die kommt von Herzen.