Trad Wives und Andrew Tate: Wie uns toxische Rollenvorbilder beeinflussen | Weiden24

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Frau pink, Mann blau? Warum starre Geschlechterrollen schaden können. (Symbolbild: Abdulvahap/Adobe Stock)
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Frau pink, Mann blau? Warum starre Geschlechterrollen schaden können. (Symbolbild: Abdulvahap/Adobe Stock)

Trad Wives und Andrew Tate: Wie uns toxische Rollenvorbilder beeinflussen

Strenge Geschlechterbilder verbreiten sich ungebremst auf TikTok, Instagram und Co. Doch was steckt dahinter – und wie können sie schaden? Ein Blick in die Facetten von Genderkompetenz im digitalen Zeitalter.

Männer müssen dicke Autos fahren, um die geilsten Mädels zu pullen. Frauen erwarten Princess Treatment und kochen in ihrer Marmorküche für ihre 20 Kinder. Trad Wives, Incels, Pop-Feminismus, Männerrechtler, Dating-Coaches, Sprinkle Sprinkle: Die For-You-Pages verbreiten extreme Geschlechterbilder wie ein Huster im Bus die Grippe.

Doch was steckt hinter diesen Begriffen? Und was ist das Problem dabei, sich solchen Content ungefiltert zu geben? Diese Fragen klären Agnes Böhmelt, Lehrkraft für Genderkompetenz an der Uni Regensburg, Nicole Cucit, Koordination des Zusatzstudiums Genderkompetenz und eine Student*in der Sozialen Arbeit in Regensburg.

Zuerst: Die klassischen Rollenbilder

In diesem Artikel geht es um sehr binäre Ansichten. Für nichtbinäre Menschen kann dieses Thema nochmal komplizierter sein. In den starren Geschlechterrollen seien sie nicht repräsentiert und Diskriminierungs-, Disziplinierungs- und Unsichtbarkeitserfahrungen sind deshalb quasi unvermeidbar, so die Expert*innen.

„Klassische” Männer sind:

  • Durchsetzungsfähig
  • Unabhängig
  • Rational
  • Emotional zurückhaltend
  • (Körperlich) stark
  • Dominant

„Klassische” Frauen sind:

  • Fürsorglich
  • Emotional
  • Unterordnend
  • Schön

Diese Rollenbilder sind aber keine biologischen Wahrheiten – sie sind kulturelle Konstruktionen, die über Jahrhunderte durch gesellschaftliche Machtkämpfe entstanden sind.

Die Geschichte hinter den Rollenbildern

Die Polarisierung von Männern und Frauen wurde besonders im 18. Jahrhundert geprägt, während der europäischen Aufklärung. Hier formte sich das Ideal, dass alle Menschen frei und gleich sind. Nur: „Wenn alle Menschen frei und gleich sein sollten, warum hatten dann nur manche von ihnen den vollen Zugang zu den bürgerlichen Rechten, zum Beispiel dem Wahlrecht?”, so die Expert*innen.

Deshalb schuf man vermeintlich „intrinsische” Eigenschaften: Frauen schrieb man etwa Emotionalität und Privatheit zu, Männern Rationalität und Öffentlichkeit. Das Ganze wurde dann noch biologisch legitimiert. Und wenn Frauen schon rein biologisch unterlegen sind, brauchen sie auch nicht alle Rechte. Übrigens: Ähnlich hat sich auch Rassismus entwickelt, merken die Expert*innen an.

Rollenbilder in der Gegenwart

Auch heute beeinflussen diese Vorstellungen unser Leben. Geschlechterrollen sind im System verankert – sie dienen kapitalistischen und patriarchalen Strukturen, die von einer geschlechtlichen Arbeitsteilung profitieren. Etwa arbeiten Frauen eher in der Pflege und der Gastro („fürsorglich”) oder in der Beauty-Industrie („schön”), Männer eher im Handwerk („stark”) oder im Management („dominant”).

Dieses Vergeschlechtlichen von Jobs – oder auch Gegenständen oder Tätigkeiten – funktioniert nicht nur über Zwang oder Gewalt. „Man wird dazu erzogen, an bestimmte Ideale und normalisierte (Rollen-)Anforderungen zu glauben. Man wächst in sie hinein”, erklären die Expert*innen.

Wenn es problematisch wird

So, und wo ist jetzt das Problem daran? „Es gibt Arten des Männlich- oder des Weiblich-'Seins', die als schädlich, also 'toxisch', wahrgenommen werden können.”

Toxisch männlich ist etwa:

  • Aggressives Auftreten
  • Kontrollwahn
  • Übergriffigkeit
  • Gewalt

Das äußert sich sowohl nach innen als auch nach außen. Nicht umsonst ist die Suizidrate laut Statistischem Bundesamt bei Männern 2,7 mal höher. „Emotionale Unterdrückung kann sich ja auch auf die eigenen Emotionen beziehen.” Männer fressen viel öfter ihre Gefühle in sich rein, weil es gesellschaftlich – vor allem unter Männern – als „unmännlich gilt”, darüber zu reden.

Toxisch weiblich ist viel subtiler und wird von vielen nicht als prinzipiell schlecht wahrgenommen. Die Rollen können aber einengen und erschöpfen:

  • „Gutes Mädchen”
  • „Aufopferungsvolle Mutter”

Der Begriff „Toxische Weiblichkeit” ist übrigens umstritten, weil er etwa von Männerrechtlern verwendet wird, „um das entsprechende 'weibliche' Verhalten zu skandalisieren und die entsprechenden Frauen zu beschämen – wenn etwa Freundlichkeit oder Höflichkeit als 'Schwäche' begriffen werden”, betonen die Expert*innen. „Toxische Männlichkeit” werde immerhin benutzt, um gesellschaftliche Strukturen zu kritisieren.

Das hat Social Media damit zu tun

Influencer*innen wie Andrew Tate oder Nara Smith zeigen, wie alte Muster durch neue Plattformen verstärkt werden können. Tate verbreitet aggressiv-männliche und frauenverachtende Botschaften, Smith feiert konservative Weiblichkeitsideale – eine schöne Frau, die ein Kind nach dem anderen bekommt und den Tag damit verbringt, für sie und ihren Mann zu kochen.

„Solche Botschaften können mindestens einen Rückschritt in alte Muster darstellen und gerade junge Menschen verwirren oder unter Druck setzen”, erklären die Expert*innen. Dass Tate stark stereotypisierter Männerbilder propagiert, lässt junge Menschen sich „falsch” fühlen, wenn sie diesen Idealen nicht entsprechen.

Bei „Trad Wives” wie Smith sei die Gefahr subtiler, finden die Expert*innen. Ja, sie macht das Hausfrauenleben schmackhaft, was für viele ein unterdrücktes und abhängiges Leben bedeutet. Schlimmer ist jedoch die „Affinität der meisten Trad Wives zu rechtsextremem und rassistischem Gedankengut.” Nara Smith, eines schwarzes Model, hat sicherlich nicht diese Intention, aber ihr Content kann eine „Einstiegsdroge” sein.

Drei Tipps zum Umgang damit

  • Kritisch denken: Factchecken, informieren, wie Algorithmen funktionieren und gezielt nach alternativen Creators suchen
  • Vielfalt akzeptieren: verschiedene Identitäten kennen und feiern und wenn es sein muss, auch die eigene Stimme dafür erheben
  • Gemeinschaft und Solidarität finden: mit Freunden über Ziele, Wünsche, aber auch Unsicherheiten und Ängste reden, so ein unterstützendes Umfeld schaffen und lernen, sich selbst unabhängiger von gesellschaftlichen Normen zu definieren
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