Erik Hille ist ehrgeizig. Erfolgreich. Der 35-jährige Neusather lebt seine Leidenschaft: das Laufen. Heute zählt er zu den erfolgreichsten Marathonläufern Deutschlands. Eine Leistung, die ihm hartes Training abverlangt.
Im Interview erzählt Erik Hille, wie intensiv er sich auf einen Wettkampf vorbereitet, warum ihm die Zeitmarke von 2:12 Stunden so wichtig ist und was sich hinter seinem Leitsatz „Grenzen gibt es nur im Kopf“ verbirgt.
Wie viele Kilometer bist du im vergangenen Jahr gelaufen?
Das kann ich genau sagen: Es waren 8045 Kilometer. Das meiste davon waren Trainingsläufe. Die Wettkampfkilometer waren deutlich weniger. Ich bin 2023 bei vier Marathons gestartet, das waren rund 169 Kilometer. Grundsätzlich sagt man: Mehr als zwei Marathons pro Jahr gehen nicht. Normalerweise dauert die Vorbereitungszeit mehr als drei Monate und auch für die Regeneration muss man sich Zeit nehmen. Ich bin anderer Meinung. Aufgrund neuer Schuhtechnologie und neuen Regenerationstools erholt man sich schneller und kann früher wieder hart trainieren. Neben den Marathons bin ich auch andere Wettkämpfe gelaufen, insgesamt waren es um die 15.
Seit du 28 Jahre alt bist, trainierst du professionell ...
… ich habe Sportmanagement studiert. Ich habe viel gefeiert und mein Leben genossen. Damals bin ich ab und zu mit einem Freund laufen gegangen, einfach für das gute Gewissen. Als ich meinen Bachelorabschluss hatte, wollte ich nicht sofort eine Arbeitsstelle suchen. Durch Zufall bin ich an eine Stelle als Fahrrad-Guide für Touristen auf Mallorca gekommen. Das habe ich ein Jahr lang gemacht. Anschließend bin ich nach München gezogen und habe bei Adidas gearbeitet. An einem Abend war ich mit einem Freund feiern und aus einer Partylaune heraus haben wir beschlossen, den München-Marathon 2016 mitzulaufen. Überraschenderweise habe ich ihn mit einer sehr passablen Zeit absolviert, in 2:50 Stunden – und das mehr oder weniger untrainiert. Meine Familie hat mir zu denken gegeben, wie gut ich werden könnte, wenn ich mehr trainieren würde. Mehr Training, das passte damals nicht in mein Lebensbild. Dennoch hat es mich gereizt. Vier Monate später habe ich angefangen für den nächsten Marathon zu trainieren. Beim Frankfurt-Marathon 2017 bin ich schon eine Zeit von 2:24 Stunden gelaufen. So hat es angefangen.
Wie hat das Training dein Leben verändert?
Von Anfang an hat mich mein Papa trainiert. Er ist selbst sportlich, war lange Zeit Skilangläufer und ist auch Marathons gelaufen. Die Situation hat so ausgesehen: Er leichtathletischer Autodidakt, ich voll Tatendrang. Mein Papa hat für mich einen Trainingsplan erstellt. Ich habe schnell gemerkt, wie viel Zeit das in Anspruch nimmt. Als ich bei meinem alten Arbeitgeber meine Arbeitszeit nicht verkürzen konnte, habe ich letztendlich gekündigt und bin wieder zu meinen Eltern gezogen. Jetzt arbeite ich einen Tag pro Woche in meinem ehemaligen Ausbildungsbetrieb. Am Anfang habe ich mir zu viel zugemutet, weshalb ich mich zwei Mal richtig verletzt habe – zwei Ermüdungsbrüche. Es hat sehr lange gedauert, bis sie geheilt sind, was sehr bitter war, denn zu dieser Zeit hatte ich große Fortschritte gemacht. Plötzlich war ich drei Monate raus aus dem Training. Aber ich habe weitergemacht. Mein Papa und ich haben meinen Trainingsplan angepasst und sind aneinander gewachsen. Heute funktioniert alles wunderbar. Ich trainiere zwei bis drei Mal pro Tag. Zusätzlich habe ich ein kleines Netzwerk an Teammitgliedern aufgebaut: Mediziner, Physiotherapeuten – und ich habe Sponsoren, die mir meine Ausrüstung und ein Auto zur Verfügung stellen.
Wie sieht dein Training aus?
Ich habe eine hohe Arbeitsmoral beim Laufen. Heute morgen bin ich zehn Kilometer gelaufen und die gleiche Strecke werde ich auch abends laufen. Das ist eine eher gemächliche Einheit, weil ich gestern 36 Kilometer in hoher Geschwindigkeit gelaufen bin. Morgen werden es 30 Kilometer. Ruhetage gibt es bei mir nicht. Nicht an Weihnachten, nicht an meinem Geburtstag. Das Training ist eine Vollzeitaufgabe. Steht ein Marathon kurz bevor, steigere ich mein Pensum. Die Einheiten werden härter, die Umfänge höher. Wir definieren mein Marathon-Tempo im Vorfeld und danach richten wir mein Training aus. Aktuell liegt es bei 19 km/h. Vor dem Marathon versuchen wir nach Möglichkeit zwei Wettkämpfe einzuplanen, einen über zehn Kilometer, einen über die Halbmarathondistanz. Hier überprüfen wir die aktuelle Form. Auch ein Trainingslager in der Schweiz gehört zum Plan. Dort fühle ich mich sehr wohl, habe ein exzellentes Umfeld und die Trainingsmöglichkeiten sind sagenhaft. Zusätzlich bin ich regelmäßig im Institut für Angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig, wo unter anderem meine Laktatschwelle festgelegt wird.
Wie ist der Ablauf kurz vor einem Marathon?
Ich reise einen oder zwei Tage vorher an. Abends esse ich viel Pasta, dann bereite ich meine Trinkflaschen für den Lauf vor. An der Strecke stehen mehrere Stationen, an denen man seine Flaschen platzieren kann. Da das aber nicht immer funktioniert, nehme ich am Körper mehrere Gels mit, die reichhaltig an Kohlenhydraten sind. Ein Gel nehme ich alle 30 Minuten beziehungsweise alle zehn Kilometer. Ohne die Zufuhr würde mir schnell die Energie ausgehen. Bei Marathongeschwindigkeit wurde bei mir ein Kalorienverbrauch von 1500 kcal ermittelt.
Mitte Februar bist du den Sevilla-Marathon gelaufen. Wie erging es dir in Spanien?
Nicht gut, nicht schlecht. In der ersten Hälfte war ich eine Nuance zu schnell, aber ich hatte keine große Wahl. Hinter mir war niemand, vor mir eine 20-köpfige Läufergruppe auf einem sehr hohen Niveau. Ich wollte nicht alleine laufen, also habe ich mitgehalten. Ab Kilometer 21 bin ich langsamer geworden – fünf bis sieben Sekunden pro Kilometer, das läppert sich. Es gab Höhen und Tiefen, aber Marathon is life. Das macht es auch aus. Am Ende bin ich eine Zeit von 2:14:25 gelaufen. Der Wettkampf war mein erster in Spanien, eine schöne Erfahrung.
Trifft dein Leitsatz „Grenzen gibt es nur im Kopf“ wirklich immer zu?
Das darf man natürlich nicht komplett wörtlich nehmen. Mir ist klar, dass ich niemals einen Marathon in 2:05 Stunden laufen werde. Auch mehrere Verletzungen haben mir temporär Grenzen gesetzt. Ich meine damit realistische Grenzen. Ich habe noch nie eine Trainingseinheit ausfallen lassen. Wenn ich ein Ziel habe, setze ich alles daran, um es auch zu erreichen.
Erster beim Rennsteiglauf, Vizemeister der Deutschen Meisterschaft 2023 – was war dein größter Erfolg?
Sportlich gesehen war es der Moment, in dem ich die zehn Kilometer das erste und einzige Mal unter 30 Minuten gelaufen bin. Das heißt ich bin durchgehend eine Geschwindigkeit von 20 km/h gelaufen. Mein persönlich größter Erfolg war, dass ich trotz der Verletzungen den Kopf nie in den Sand gesteckt und nie aufgegeben habe.
Was treibt dich an?
Laufen ist die natürlichste Form der Fortbewegung. Ich habe selten Menschen erlebt, die nach dem Laufen schlechter gelaunt waren als vorher. Mir macht es einfach total Spaß. Ich hatte in den vergangenen fünf Jahren noch nie keine Lust meine Laufschuhe anzuziehen und loszulaufen.
Mit deiner Bestzeit von 2:14:18 Stunden hast du 2022 die EM-Quali geschafft. Warum bist du nicht angetreten?
Laut Norm wäre ich berechtigt gewesen zu starten. Das Problem war: Es gab sechs freie Startplätze – und sechs andere Läufer hatten eine bessere Qualifikationszeit als ich. Deshalb habe ich keinen Startplatz erhalten. Die EM war mein großer Traum, ich habe dafür alles in die Waagschale geworfen: Ich habe meinen Job gekündigt, jeden Tag sehr hart trainiert. Ich wäre gerne ein Mal im Trikot der deutschen Nationalmannschaft gelaufen. Dass es nicht funktioniert hat, tat ein paar Tage weh, aber es ist, wie es ist.
Ist die nächste EM dein Ziel?
Die EM ist alle zwei Jahre. In diesem Jahr ist die Halbmarathon-EM, 2026 dann wieder der Marathon. Das habe ich mir nicht mehr als Ziel gesetzt. Ich habe meinen Frieden damit gemacht.
Wie sieht dein Privatleben aus? Worauf musst du verzichten?
Ich muss auf vieles verzichten – aber eigentlich verzichte ich auch auf nichts. Ich liebe das, was ich mache und niemand zwingt mich dazu. Da ich mich für diesen Weg entschieden habe, lebe ich meinen Traum. Ein Beispiel: An Weihnachten haben sich meine Freunde getroffen. Ich konnte nicht, weil ich gerade in der Marathonvorbereitung war und nicht krank werden durfte. Das ist schade, aber wenn ich morgens die Laufschuhe anziehe und loslaufe, weiß ich, wofür ich das mache. Natürlich sind daran einige Freundschaften kaputt gegangen, aber viele haben gehalten. Meine Freunde unterstützen mich, genauso wie meine Familie.
Welche großen Läufe hast du 2024 geplant?
Anfang des Jahres habe ich mich ausschließlich auf den Sevilla-Marathon Mitte Februar konzentriert. Mein Ziel ist es, viele Rennen zu laufen. Natürlich wäre es lukrativ, den Titel beim Rennsteig-Marathon zu verteidigen. Vielleicht werde ich auch beim Berlin-Marathon an den Start gehen. Seit diesem Jahr starte ich für den TV Burglengenfeld. Für mich war immer klar: Nabburg ist meine Homebase und mein Vater ist und bleibt mein Trainer. Längere Zeit bin ich für die LG Regensburg gestartet. Danach bin ich nach Hamburg gewechselt, da ich auch mal ein paar Jahre in Hamburg gelebt habe und mich der Stadt sehr verbunden fühle. Leider hat das mit dem Verein in Hamburg nicht wirklich gepasst. Jetzt bin ich glücklich, denn beim TV sind etliche meiner Freunde und ich fühle mich dort wohl. Ich weiß, dass ich viel Unterstützung bekomme.
Welche Ziele und Träume hast du für deine Zukunft?
Ich will ein Mal in meinem Leben einen Marathon in 2:12 Stunden laufen. Das ist mein Ziel. 2023 habe ich beim Jungfrau-Marathon den fünften Platz belegt. Die drei ersten Ränge bekommen eine richtig tolle Schweizer Uhr. So eine würde ich mir gerne noch sichern. (lacht) Wenn ich auf meine bisherige Karriere blicke, habe ich zwei Mal bei einer deutschen Meisterschaft Medaillen gewonnen. Mehr kann ich mir nicht wünschen. Laufen wird immer ein Teil meines Lebens sein, aber auf professioneller Ebene denke ich von Jahr zu Jahr. Aktuell will ich das Pensum noch halten, dafür liebe ich das Laufen zu sehr. Wenn ich merke, dass es Zeit wird, kürzer zu treten, werde ich mich mehr auf mein Privatleben konzentrieren.