Kontroversen, Klänge, Klicks: Das jährliche ESC-Musikspektakel geht dieses Jahr in Basel über die Bühne. Was man wissen muss.
Der Eurovision Song Contest in Basel ist ein Spektakel der Superlative: 37 Acts kämpfen um die Trophäe und knapp 60.000 Zuschauer sind bei den neun Live-Shows allein vor Ort dabei. Am Bildschirm sind es noch viel mehr: Im vergangenen Jahr sahen gut 160 Millionen Menschen am Fernseher zu und weitere rund sieben Millionen auf Social-Media-Kanälen. Was man wissen muss, um bis zum Finale am 17. Mai um 21.00 Uhr in der St. Jakobshalle in Basel mitreden zu können:
Das ist wie im vergangenen Jahr in Malmö der Auftritt Israels. Wegen des Gazakriegs mit mehr als 50.000 Toten protestieren viele Menschen dagegen, dass Israel teilnimmt. Zuletzt schrieben 70 frühere ESC-Teilnehmer in einem offenen Brief, Russland sei 2022 auch wegen des Überfalls auf die Ukraine ausgeschlossen worden. „Wir akzeptieren diese Doppelmoral gegenüber Israel nicht“, schrieben sie. Spaniens Sender RTVE hatte eine Debatte über die Teilnahme Israels gefordert. In Island und Slowenien regte sich auch Kritik. Israel warnte seine Bürger, die nach Basel fahren, vorsichtig zu sein.
Israels Sängerin Yuval Raphael (24) hat die Terroranschläge auf ihr Land am 7. Oktober 2023 überlebt. Sie war mit einer Freundin auf dem Nova-Musikfestival, auf dem Terroristen aus dem Gazastreifen ein Massaker anrichteten. Ihr Song heißt „New Day Will Rise“, im Text geht es um Verlust und Hoffnung. Israel ist beim ESC mit vier Siegen bis heute doppelt so erfolgreich wie Deutschland. Zuletzt war 2018 Netta und dem Song „Toy“ erfolgreich. Israel gehört als Mitglied der Eurovision, dem internationalen Programmaustausch der EBU, zu den Teilnehmerländern. Die EBU richtet den Song Contest aus.
Die deutsche Hoffnung kommt aus Österreich. Bei der Vorentscheidung setzten sich die Geschwister Abor (26) und Tynna (24) aus Wien durch. Die beiden mit Wurzeln in Ungarn und Rumänien heißen mit bürgerlichem Namen Attila (26) und Tünde (24) Bornemisza. Er spielt Cello, sie singt. Eine zündende Fröhlichkeit wie einst Lena beim deutschen Sieg 2010 mit „Satellite“ legen die beiden nicht an den Tag, sie sind eher ernst und zurückhaltend.
In ihrem Popsong „Baller“ geht um die Wut einer Verlassenen. Textprobe: „Ich baller’ Löcher in die Nacht“ und „Ich krieg wieder diesen Drang, ich will den Weltuntergang“. Nach Angaben von Google Trends war das Lied in den 30 Tagen bis 6. Mai in allen teilnehmenden Ländern der am zweithäufigsten gesuchte ESC-Beitrag nach „Esa diva“ von Melody aus Spanien.
Zu den Favoriten gehören weder Spanien noch Deutschland. Ganz weit vorn steht Schweden, das mit der finnischen Comedy-Gruppe KAJ antritt. Die feschen Jungs Kevin Holmström, Axel Åhman und Jakob Norrgård frönen mit ihrem Spaßsong „Bara bada bastu“ (Einfach in die Sauna gehen) genau dem: dem Saunagang. Sie haben tief in die Trickkiste der Ohrwürmer gegriffen: mit Mitgröl-Parollen wie „Ohhh-ee-oh-ee-oh-ee-ohhh“ und „Saunaaaaa“, garniert mit lustigen Tanzmoves im Saunahandtuch.
Wettbüros sehen die drei Schweden seit Wochen als Topfavoriten. Auf den Plätzen dahinter liegen Österreich mit dem Countertenor JJ und der Ballade „Wasted Love“, eine Mischung aus Pop, Techno und Oper, sowie Louane aus Frankreich, die in „Maman“ über ihre gestorbene Mutter singt, und Israel.
Weil jeweils das Land den Wettbewerb ausrichten darf, das im Jahr davor gewonnen hat. In Malmö 2024 siegte Nemo aus der Schweiz mit dem Lied „The Code“ - und zertrümmerte die Trophäe versehentlich gleich beim Siegeslauf.
Selten war die Stimmung so angespannt wie beim ESC 2024 in Malmö. Draußen gab es wegen des Gazakriegs Demonstrationen gegen die israelische Teilnahme, und auch hinter der Bühne war die Stimmung aufgeheizt, es kam zur Ausgrenzung der israelischen Teilnehmerin. Deshalb gibt es jetzt unter anderem Rückzugsräume für Teilnehmende und Zonen, in denen nicht gefilmt werden darf. Neu ist auch das Reglement für Flaggen und Symbole: auf der Bühne und in offiziellen Bereichen strikter, für das Publikum mit mehr Freiraum.
Auf der Bühne darf jeder nur die Flagge seines Landes zeigen, keine Fahnen etwa, die die LGBTQ+-Community repräsentieren. Im Publikum ist dagegen alles erlaubt, was nach Schweizer Gesetz nicht verboten ist, also auch die palästinensische Flagge. Verboten ist alles, was rassistisch oder diskriminierend ist, Hass oder Gewalt beflügelt oder verbotene terroristische Gruppen betrifft. Pro Person ist eine Fahne im Höchstmaß ein Meter mal 70 Zentimeter erlaubt.
Der Wettbewerb findet zum 69. Mal statt. 37 Acts sind am Start. Sechs sind für das Finale gesetzt: neben dem Titelverteidiger auch Deutschland, Großbritannien, Spanien, Frankreich und Italien. Das sind die fünf größten Beitragszahler der EBU. Die anderen Länder müssen in zwei Halbfinalen um je zehn Plätze kämpfen.
Dass Deutschland mit Österreichern gewinnen will, ist gar nicht so ungewöhnlich. Beim ESC treten auch andere Länder mit Interpreten aus dem Ausland an: Für Schweden sind Finnen am Start, für Irland eine Schwedin und für San Marino ein Italiener.
Gastgeber Schweiz holte mit einer Ausländerin sogar einen Sieg: die Kanadierin Céline Dion (57) gewann die Trophäe 1988 für die Schweiz. Die Eidgenossen haben auch schön öfter als Deutschland gewonnen, nämlich 1956, 1988 und 2024. Mit großer Spannung wird erwartet, ob Dion in Basel auftritt: Sie ist sehr krank, und alles hängt bis zur letzten Minute von ihrer Tagesform ab.
Schweden würde mit einem Sieg das achte Mal gewinnen und auf der ewigen ESC-Bestenliste an der Spitze stehen. Noch teilt es sich den Platz mit Irland, das auch siebenmal gewann. Deutschland stand zweimal auf dem Treppchen: 1982 Nicole mit „Ein bisschen Frieden“ und 2010 Lena.
Am entgegengesetzten Ende liegt Norwegen. Das Land steht mit zwölf letzten ESC-Plätzen sogar im Guinnessbuch der Rekorde. Finnland war auch nicht viel besser, und dann kommt auch schon Deutschland. Seit dem Jahr 2000 kam Deutschland nur siebenmal unter die ersten zehn.
Neben dem Flaggen-Reglement gilt unter anderem: Auf der Bühne darf es keine Tiere geben, und pro Act sind höchstens sechs Personen zugelassen. Jeder Beitrag darf höchstens drei Minuten lang sein. Politische Statements und Gesten sowie Werbung oder etwas, das den Wettbewerb in Misskredit bringen kann, sind verboten. Das Mindestalter der Teilnehmenden ist 16.
Jeder Act kann aus jedem Land maximal 24 Punkte bekommen: Zwölf von einer Fachjury, zwölf durch das Televoting. Daran kann jeder Bewohner eines Landes teilnehmen. Aus Deutschland kann man nicht für den deutschen Beitrag stimmen. Punkte gibt es für die besten zehn Songs. Beim Televoting bekommt der Song, der die meisten Anrufe erhält, zwölf Punkte, der zweite zehn, der dritte acht und ab da geht es in Einer-Schritten weiter.
In der ARD gibt es eine Vor- und Nach-Finale-Show. Mit Moderatorin Barbara Schöneberger und Gästen geht es am Samstag um 20.15 los mit „ESC - der Countdown“, und ab etwea 01.00 Uhr in der Nacht live aus Basel „ESC - die Aftershow“. Wer für Deutschland und Österreich singt, kommt auch zu Wort: Abor und Tynna sowie JJ werden von ihren Erlebnissen berichten.
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